SKULPTUR FOTOGRAFIE FILM
SANTIAGO SIERRA
08. September 2013 – 19. Januar 2014
Die Deichtorhallen Hamburg zeigen bis zum 19. Januar 2014 in der Sammlung Falckenberg in Harburg den bislang größten retrospektiven Überblick über das skulpturale, fotografische und filmische Werk des spanischen Künstlers Santiago Sierra (*1966 in Madrid). Die Ausstellung wurde von Dirk Luckow kuratiert und umfasst über 70 Arbeiten.
Sierra ist für seine provokanten Performances weltweit bekannt. Es gibt wohl kaum einen europäischen Künstler, an dessen Werken sich die Gemüter mehr erhitzen, kaum ein Werk, das mehr Widerspruch hervorruft. Mit seinen Arbeiten thematisiert Sierra die strukturelle Gewalt politischer und wirtschaftlicher Systeme. Für sein Werk »250 cm line tattooed on 6 paid people« ließen sich sechs nebeneinander stehende junge Kubaner für 30 Dollar eine durchgehende Linie auf den Rücken tätowieren; 2003 ließ er den Eingang des spanischen Pavillon auf der Biennale in Venedig bis auf eine kleine Öffnung zumauern und gewährte nur den Inhabern spanischer Pässe Zutritt; in einer sehr umstrittenen Aktion in Deutschland leitete er in eine Synagoge in Stommeln Autoabgasen und verwandelte diese in eine Todeskammer; er ließ Menschen gegen geringes Entgelt stundenlang in Pappkartons verharren, eine umkippende Wand stützen oder öffentlich masturbieren.
Sierra konfrontiert die Betrachter mit einer äußeren Wirklichkeit, in der ökonomische Ausbeutung, Billiglöhne, Sich-Prostituieren oder das Verdrängen der Vergangenheit an der Tagesordnung sind: »Meine Arbeit ergreift Partei für das vom Kapitalismus zerstörte Leben. Und Kapitalismus ist für mich die ökonomische Spielart des Sadismus.« Sierra führt mit seiner Kunst einen Angriff nicht nur gegen ungerechte Verteilung des Reichtums und unmenschliche Arbeitsbedingungen, sondern kritisiert mit ihr vor allem das innerhalb der kapitalistischen Gesellschaften dominierende positive Image von Arbeit.
Er bilde in seinen Werken nicht seine Wünsche, sondern die Realität ab – diese Äußerung Santiago Sierras steht eigentlich in krassem Widerspruch zur minimalistischen Abstraktion und Reduktion, die viele seiner Arbeiten formal kennzeichnet. Andererseits bekennt sich der spanische Künstler mit dieser Aussage zur »objektiven Form« als vorrangigem Ziel der Minimalisten. Die Ausstellung der Deichtorhallen Hamburg in der Sammlung Falckenberg in Harburg unterstreichen diese formalen Qualitäten seiner Werke. Gezeigt werden neben Sierras Skulpturen auch Fotografien, filmische Werke, Installationen und Objekte. Ergänzt wird die Ausstellungen durch einen »Memorabilia«- Raum, in dem Plakate, Einladungskarten, Dokumente, aber auch Skizzen zu Aktionen und Konstruktionen aus über zwei Jahrzehnten zu sehen sind.
Die Ausstellung in der Sammlung Falckenberg lässt Sierras Entwicklung in der Auseinandersetzung unter anderem mit dem Minimalismus und der Konzeptkunst nachvollziehbar werden. Dabei sind die meisten seiner Werke Relikte von Performances. Sierras Werk ist von klaren Regieansagen bestimmt. Das beginnt bei der fotografischen oder filmischen Dokumentation, die ohne eigentliche fotografische oder filmische Ästhetik ist. Sierras großformatige, schwarz-weiße Fotografien sind oft grobkörnig und dokumentieren seine in der Regel öffentlichen Performances. Mit Künstlern wie Joseph Beuys, Richard Serra oder Franz Erhard Walther verbindet Sierra zudem die skulpturale Ästhetik.
Darüber hinaus besteht eine enge Beziehung zwischen Santiago Sierra und der Stadt Hamburg. Nicht nur, dass sich wichtige fotografische Werke Sierras im Besitz der Sammlung Falckenberg befinden, vor allem seine Zeit an der Hochschule für bildende Künste war prägend für ihn. Sierra besuchte dort Anfang der 1990er Jahre die Klassen von Franz Erhard Walther, Bernhard Blume und Stanley Brouwn. Hier insbesondere liegen seine künstlerischen Wurzeln. »Was für andere Künstler die Sixtinischer Kappelle bedeutete, war für Santiago Sierra der Hamburger Hafen«, sagt Dirk Luckow, Intendant der Deichtorhallen. Erstmals sind hier frühe Fotografien Sierras aus der Hamburger Zeit zu sehen (Schutt- und Aschehalden). Die frühen skulpturalen Arbeiten Sierras, die z.T. noch während seines Studiums in Hamburg entstanden, sollen in einzelnen Fällen rekonstruiert oder fotografisch dokumentiert werden, beispielsweise minimalistisch anmutende Kuben aus LKW-Planen.
Seit seinem aufsehenerregenden Beitrag zur Biennale von Venedig 2003 ist Sierras Bekanntheitsgrad enorm gestiegen. Als einer der renommiertesten Künstler Spaniens sollte er 2010 den mit 30.000 Euro dotierten Spanischen Nationalpreis für bildende Künste, den Premio Nacional de Artes Plásticas de España, erhalten. Doch Sierra lehnte ab und erklärte, er wolle sich nicht vom Staat instrumentalisieren lassen.
SONDERÖFFNUNGEN
Tag des offenen Denkmals
Sonntag, 8. September 2013. Führung durch die Ausstellung um 12, 15 und 17 Uhr. Anmeldung erforderlich.
Harburger Kulturtag
Samstag, 26. Oktober 2013. Sonderöffnung von 12 bis 17 Uhr mit stündlichen Einführungen in die Ausstellung. Keine Anmeldung erforderlich. Der Kulturtag-Pin, der an diesem Tag zum Besuch aller Veranstaltungen berechtigt, ist für 2,50 Euro in den Veranstaltungsorten erhältlich.
FILM-MATINÉE
Filmvorführung von Santiago Sierras Dokumentation »NO, Global Tour. The Film« (120 Minuten, s/w, 2011)
Der Film wird von einer Sound-Performance von Francisco Lopez begleitet.
Ein Künstlergespräch mit Santiago Sierra im Anschluß an den Film ist in Planung.
Sonntag, 3. November 2013 um 11 Uhr
zeise kinos
Eintritt: 7,80 Euro, ermäßigt mit Ausstellungsticket
Karten unter www.zeise.de oder telefonisch unter 040/390 87 70
TRAILER
VORTRAG
Rückkoppelung – Santiago Sierra und die Gegenwartskunst
Vortrag von Prof. Dr. Georg Imdahl (Kunstakademie Münster, Professor für Kunst und Öffentlichkeit)
Donnerstag, 21. November 2013 um 19 Uhr
Auditorium im Haus der Photographie in den Deichtorhallen
Eintritt: 3 Euro
KURATORENFÜHRUNGEN
Mit Dr. Dirk Luckow, Intendant der Deichtorhallen
Donnerstag, 7. November 2013 um 18 Uhr
Samstag, 11. Januar 2014 um 15 Uhr
EXHIBITION TOUR
Führung in englischer Sprache durch die Ausstellung
Samstag, 2. November 2013 um 17 Uhr
Samstag, 4. Januar 2014 um 17 Uhr